(13.09.2022 – Az.:1 AZR 22/21) Die Erfassung von Arbeitszeiten sorgt im Moment für einigen Wirbel. Wir haben für Sie aktuelle Rechtsprechungen und Gesetzesentwürfe erfasst und geben eine Handlungsempfehlung, an der Sie sich orientieren können, bis uns eine Entscheidung des Gesetzgebers vorliegt.
Schon im Jahr 2019 hielt der Europäische Gerichtshof (EuGH) (Az. C-55/18) die Arbeitgeber für verpflichtet, ein „objektives, verlässliches und zugängliches System einzurichten, mit dem jeder Arbeitnehmer seine tägliche Arbeitszeit messen kann“, einzuführen. In Deutschland ist gesetzlich nach wie vor nur die Erfassung der Überstunden, nicht also der „normalen“, vertraglich vereinbarten Arbeitszeit gesetzlich geregelt.
Im Anschluss daran unterstellte das Arbeitsgericht (ArbG) Emden (09.11.2020, Az. 2 Ca 399/18) die unmittelbare Wirkung dieses Urteils. In einem Prozess um die Vergütung von Überstunden urteilte es, der Arbeitgeber sei aufgrund europarechtskonformer Auslegung des § 618 BGB (Fürsorgepflicht des Arbeitgebers) zur Erfassung und Kontrolle der Arbeitszeiten des Arbeitnehmers verpflichtet gewesen.
Dieses Urteil hatte in den höheren Instanzen jedoch keinen Bestand.
Ein zwischenzeitlich vorgelegter Gesetzentwurf enthielt die Verpflichtung zur „minutengenauen Arbeitszeiterfassung in einem elektronischen, manipulationssicheren System“. Diese Vorlage wurde von den Arbeitgeberverbänden als unpraktikabel zurückgewiesen.
Nun fordert der 1. Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG), eigentlich zuständig für Betriebsverfassungsfragen, die Zeiterfassung. Der Senat stützt sein Urteil auf das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG).
Geklagt hatte ein Betriebsrat. Nach vergeblichen Verhandlungen mit dem Arbeitgeber über die Einführung eines Zeiterfassungssystem für den Betrieb wollte er dieses über die Einigungsstelle erzwingen. Der Betriebsrat unterlag mit seinem Anliegen. Denn nach Auffassung des BAG besteht ein entsprechendes Mitbestimmungsrecht nach § 87 BetrVG nur, sofern die betriebliche Angelegenheit nicht schon gesetzlich geregelt ist.
Das Gericht leitet aus § 3 Abs. 2 ArbSchG eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung her: „Der Arbeitgeber ist nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann.“ Noch liegen die Urteilsgründe nicht vor.
Wir geben vorläufig folgende Handlungsempfehlungen:
- Nehmen Sie die Einhaltung der Arbeits- und Pausenzeiten in Ihre Gefährdungsbeurteilung auf.
- Für alle Mitarbeiter/innen mit Stundenlohn reichen auch weiterhin Stundenzettel oder ähnliche Aufzeichnungen.
- Leitende Angestellte fallen nicht unter die Verpflichtung, ihre Arbeitszeit aufzuzeichnen.
- Allen anderen Mitarbeiter/innen können Sie die Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeit auferlegen. Das können Sie in Anlehnung an die Vorgaben für Minijobber machen: Danach ist man unter bestimmten Voraussetzungen verpflichtet, „Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit dieser Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer spätestens bis zum Ablauf des siebten auf den Tag der Arbeitsleistung folgenden Kalendertages aufzuzeichnen, § 17 Abs. 1 MiLoG.
- Aus Sicht des Fachverbandes Metall NW ist die Aufbewahrungsfrist von 2 Jahren viel zu kurz! Verwahren Sie die Dokumente mindestens bis zur nächsten Sozialversicherungsprüfung.
Wenn Sie also nicht ohnehin schon zu denjenigen gehören, die die Arbeitszeit aufzeichnen müssen, bitten Sie nun Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ihre eigene Arbeitszeit und die Pausenzeiten pro Woche zu erfassen. Weil es sich um Arbeitsschutz handelt, sollten Sie prüfen, dass die Arbeitszeit (mit Pausenzeiten) aufgezeichnet wird und ob Pausen- und Arbeitszeiten eingehalten werden.
Ansprechpartnerin
- Ass. jur. Friederike Tanzeglock
- Tel. 0201 – 89647-13
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